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Herausgeberfiktion bei Werther und Stiller
Exposee
Die Leiden des jungen Werthers? – ein sonderbarer Titel! – und von wem? – Von wem? das könnt ich ihnen wohl sagen, wenn ich mich berechtigt dazu glaubte, so aber mag ich nicht: – und wofür thät ichs? – Das Buch wird gesucht, gelesen, und geschätzt, von einer sympathischen Seele auch durchgefühlt werden – ohne daß es den Namen seines Verfassers zur Empfehlung nöthig hätte. – – (Werther-Rezension aus dem Jahr 1774, zit. n. KLAUSNITZER 2004, S. 120)
[Der Verfasser als Herausgeber, das] ist ein alter Novellistenkniff, gegen den ich weiter nichts einzuwenden hätte, wenn er nicht dazu beitrüge, meine Stellung so verwickelt zu machen, indem der eine Verfasser schließlich in dem andern drinsteckt wie die Schachteln in einem chinesischen Schachspiel. […]
Doch ich habe meine Stellung als Herausgeber vielleicht schon dazu mißbraucht, die Leser mit meinen Betrachtungen zu belasten.
Man trifft zuweilen auf Novellen, in denen von bestimmten Personen gegensätzliche Lebensanschauungen vorgetragen werden. Das endet dann zumeist damit, daß der eine den anderen überzeugt. Statt daß die Anschauung für sich selbst sprechen muß, wird der Leser mit dem historischen Ergebnis bereichert, daß der andere überzeugt worden ist. (Victor Eremita im Vorwort von Entweder – Oder, KIERKEGAARD 1843, S. 18 und 24)
Zu jener Zeit kannte ich die vorliegenden Aufzeichnungen noch nicht, wußte allerdings, daß Stiller in der Untersuchungshaft etwas wie ein Tagebuch geführt hatte. Es ist nicht der Sinn dieses Nachwortes, daß ich mich in zahllosen Berichtigungen ergehe. Die Mutwilligkeit seiner Aufzeichnungen, seine bewußte Subjektivität, wobei Stiller auch vor gelegentlichen Fälschungen nicht zurückschreckt, scheinen mir offenkundig genug zu sein; als Rapport über ein subjektives Erlebnis mögen sie redlich sein. Das Bildnis, das diese Aufzeichnungen von Frau Julika geben, bestürzte mich; es verrät mehr über den Bildner, dünkt mich, als über die Person, die von diesem Bildnis vergewaltigt worden ist. Ob nicht schon in dem Unterfangen, einen lebendigen Menschen abzubilden, etwas Unmenschliches liegt, ist eine große Frage. Sie trifft Stiller wesentlich. Die meisten von uns machen zwar keine Aufzeichnungen, aber wir machen auf eine spurlosere Weise vielleicht dasselbe, und das Ergebnis wird in jedem Fall bitter sein. (aus dem Nachwort Rolfs, Staatsanwalt gegen aber auch Freund von Stiller, FRISCH 1954, S. 406 f.)
Literatur
– DIEM, HERMANN und REST, WALTER: Sören Kierkegaard, Entweder – Oder, Teil I und II. DTV: München 2005.
– FRISCH, MAX: Stiller. Suhrkamp: Frankfurt a.M. 1954 (1973).
– GOETHE, JOHANN WOLFGANG: Die Leiden des jungen Werthers. 1774. In: LUSERKE, MATTHIAS (Hg.): Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werthers, Studienausgabe. Reclam: Stuttgart 1999.
– KIERKEGAARD, SØREN: Entweder – Oder. 1843. In: DIEM, HERMANN und REST, WALTER: Sören Kierkegaard, Entweder – Oder, Teil I und II. DTV: München 2005.
– SCHMITZ, WALTER: Materialien zu Max Frisch ›Stiller‹, Bd. 1 und 2. Suhrkamp: Frankfurt a.M. 1978.
– KARLMAY.LEO.ORG: Vom ›Roten Gentleman‹ zum ›Homme de la Prairie‹
URL: http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG/1990/170.htm#a51 (03.04.2008)