Wie der geneigte Leser dieses Blogs schon mitbekommen haben mag, befinde ich mich derzeit im Referendariat (offizielle Bezeichnung: Lehrer im Vorbereitungsdienst). Ich habe dabei noch etwas mehr als ein Jahr vor mir, bis ich mit dieser Ausbildung fertig bin und mein zweites Staatsexamen abgeschlossen haben werde. Ich stelle dazu in letzter Zeit fest, dass jegliches Lernen, das in diesem Rahmen stattfindet, nur in Fragmenten, sprich: zusammenhangslos, für sich allein genommen stattfindet. Ich bin mir nicht sicher, ob das einzig und allein der noch recht jungen Modularisierung der Lehrerausbildung zu verdanken ist.
Klammer auf:
Modularisierung beschreibt ein neues Organisationsprinzip, das Studiengänge in einzelne Studiengangselemente zerlegt, mit denen eine definierte Teilqualifikation erworben werden kann. Die verschiedenen Module sollen in unterschiedlicher Form kombinationsfähig gehalten werden und sich zu einem individuell zusammengestellten Studiengang mit einem individuellen Qualifikationsprofil zusammenfügen. Die Absolventen können ihr Studienverhalten und die gewählten Schwerpunkte damit flexibler an eigenen Interessen, aber auch an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes bzw. andere Abnehmer ausrichten.
Klammer zu:
Module scheinen in besonderer Weise geeignet zu sein, die Zersplitterung und Fragmentierung von Studiengängen, die derzeit nach Semesterwochenstunden eingeteilt sind, durch sachbezogenen und gegenstandsbezogene Organisationsformen zu ersetzen und die Studierbarkeit zu erhöhen aber auch Interdisziplinarität und damit einen verstärkten Gegenstandsbezug zu ermöglichen. Das gilt in ganz besonderer Weise für die immer wieder als „ortlos“ beschriebene, über die verschiedensten Fachbereiche verteilte, an ganz unterschiedlichen Wissenskulturen orientierte Lehrerbildung.
Ich glaube, dass die Umsetzung der Modularisierung (zumindest meine Erfahrung aus der Beobachtung im Studium und dem Erfahren im Referendariat) dem Prinzip des fragmentierten Lernens Vorschub leistet (und widerspreche damit Radtkes Auffassung).
Ein ähnliches Prinzip wie das der Modularisierung finden wir übrigens in der traditionellen deutschen Schule mit ihren Fächern, über die Woche verteilten Einzelstunden und vielen verschiedenen Lehrern als Lernaufseher (böse formuliert). In diesem Zusammenhang ist es äußerst interessant, sich die Rahmenstrukturen in den so genannten Reformschulen anzuschauen, in denen offene Unterrichtsformen „ausprobiert“ werden und in einen größeren, alternativen schulischen Rahmen gestellt werden. Entgegen dem landläufigen Verständnis von offenem Unterricht = Beliebigkeit und unstrukturierte Unterrichtssituation sind die Rahmenbedingungen – richtig angewendet – sehr klar strukturiert. Diese klare Strukturierung ermöglicht erst den inneren Freiraum des Lernens.
Zurück zum fragmentierten Lernen: Das Wesen von offenem Unterricht bzw. Reformschulen wie der Bodenseeschule St. Martin ist auch das Lernen in Zusammenhängen. So ist die Projektarbeit wesentlicher Bestandteil des Unterrichts in der Reformschule Kassel. Dort arbeiten, grob gesagt, Schüler allein oder in kleinen Gruppen an einem Thema über mehrere Wochen und präsentieren dann ihre Ergebnisse. (Der Lehrer steht dabei als Berater dem Schüler zur Seite.) Was im Rahmen eines herkömmlichen Schulverständnisses „fächerübergreifender Unterricht“ genannt wird – und somit schon im Begriff die Ausnahme von der Regel verankert wird –, findet hier selbstverständlich und kontinuierlich statt: das Lernen in Zusammenhängen.
Für die Lehrerausbildung bedeutet das nun nicht, dass die Referendare mehr in Projekten innerhalb der Module arbeiten sollten. Vielmehr macht es deutlich, dass ein grundsätzliches Umdenken vonnöten ist. Das derzeit fragmentierte Lernen resultiert im Wesentlichen daraus, dass der theoretische Teil der Ausbildung (die Zeit, die ich in Modulen verbringe) völlig diffus zum praktischen Teil (die Zeit, die ich in und mit der Schule verbringe) steht. Die Forderung lautet also nicht, die Modularisierung abzuschaffen. Entscheidend sollte viel eher sein, die Theorie an die Schule zu holen und so die Praxis zu bereichern und die Theorie zu prüfen. Derartige Entwicklungen deuten sich übrigens schon an, zumindest wird in Hessen vereinzelt in diese Richtung gedacht.
Langfristig betrachtet und konsequent gedacht würde das übrigens dahin führen, dass Bildungseinrichtungen wie z.B. Universität und Schule nicht einzeln als separate Einheiten betrachtet werden sollten, sondern sie würden sich vielmehr ineinander drehen und miteinander lernen. Schließlich ist ja auch Bildung an sich ein Wert, der nicht mit irgendeiner Qualifikation oder einem Modul separiert dargestellt und betrachtet werden kann. Dass wir diesen Umstand ständig (systematisch) ignorieren, ist eine ganz andere Sache – nun, eigentlich keine völlig andere Sache, aber doch eine, die jetzt zu weit weg führt und den ohnehin schon viel zu langen Blogeintrag (wer soll das bloß alles leesen) nur künstlich aufblasen würde…