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Strafniki

Ein Freund von Diego erzählte am Samstag eine ihm zugetragene Geschichte über das Schicksal eines hohen russischen Beamten. Wegen Korruption wurde dieser zu 17 Jahren Straflager verurteilt und entschied sich dann dazu, statt die Strafe anzutreten, sich für den Krieg gegen die Ukraine freiwillig zu verpflichten. Nicht einmal Stalin habe in einem solchen Maße Gefangene auf diese Weise zwangsverpflichtet, ergänzte er.

Zu dem eigentlich Fall aus Irkutsk habe ich nun nichts im Internet gefunden, wohl aber einen Text aus Juni ’24: Wie Russland für einen langen Krieg rekrutiert. Darin heißt es zu Russlands Rekrutierungsstrategie nach der protestbehafteten Mobilisierung 2022:

In der dritten – bis heute anhaltenden – Phase setzt der Kreml auf ein Vorgehen, das in kritischen Analysen als »verdeckte Mobi­lisierung« bezeichnet wird. Darunter wird die kontinuierliche Anwerbung von »Frei­willigen« in zwei Kategorien verstanden – als reguläre Soldaten, die sich auf Vertragsbasis für eine bestimmte Zeit in den Streit­kräften verpflichten (»Kontraktniki«), sowie als Kämpfer in Freiwilligenformationen. [Dabei] handelt es sich formal um Freiwillige, auch wenn deren Rekrutierung nicht selten durch die Ausnutzung von Machtgefällen, durch Täuschung und Zwang geschieht. […] Strafgefangene können seit Juni 2023 als »Kontraktniki« in den sogenannten »Sturm Z«-Einheiten dienen, wodurch eine bereits seit Anfang des Jahres bestehende Praxis nachträglich legalisiert wurde. […] Um die Rekrutierung von »Kontraktniki« zu forcieren, wirbt das Verteidigungsministerium mit hohen Sold- und Sozialleistungen, der Möglichkeit von Straferlass sowie vermeintlich erleichterten Vertragsbedingungen. (swp-berlin.org)

Die Idee, Strafbataillone aus verurteilten Soldaten zu bilden, entstand in dieser Form wohl zuerst während des 2. Weltkriegs 1941 unter Hitler. Im Sommer 1942 folgte dann die Sowjetunion. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der sowjetische Haltebefehl, der aufgrund des Schocks über den Vormarsch deutscher Truppen an der Ostfront erfolgte, den Einsatz solcher Strafbats verstärkte.

Militärisch mag es plausibel sein, dass Russland für den Krieg gegen die Ukraine möglichst viele Soldaten rekrutieren möchte, ohne gleichzeitig die eigene Bevölkerung allzusehr aufbegehren zu sehen. Allerdings ist der Einsatzzweck solcher Strafbataillone vermutlich nicht unähnlich dem im 2. Weltkrieg.

The death rate among gunners serving in penal squadrons was exceptionally high. While prisoners assigned as gunners could theoretically clear their sentences after surviving ten missions, like the infantry they were frequently transferred to penal mine-clearing units before reaching this total. (Wikipedia)

Das deutet darauf hin, dass solche Strafbataillone nicht unbedingt entscheidend sind, um einzelne Schlachten zu gewinnen. Vielleicht geht es wie auch im 2. Weltkrieg vielmehr um die Steigerung des Gehorsams innerhalb des regulären Militärs.

In his order, Stalin also mentioned Hitler’s successful use of penal battalions (known as Strafbataillon) as a means to ensure obedience among regular Wehrmacht units. (Wikipedia)

Glücklicherweise haben wir auch über andere Dinge gesprochen, niemand ist schließlich gerne Kalliberexperte.

Nachtrag: Shtrafbat (Fernsehserie 2004)

Zieht durch!

Hab am Wochenende eine Laufgruppe beim Verabschieden beobachten können. Klang nach „🚀🎉 Du bringst hier die Energie rein!“

Ich habe das Gefühl
Alles stürzt ein
In sich
Zusammen

Gebrochen
Suchen wir
Nach Kassandras Glauben
Und finden keinen

Unterführung in Prag im Sommer ’24

Schöne neue Welt.

Ich habe heute zum ersten Mal mit LaTex via ChatGPT rumgespielt.
Besser als das eigentliche Ergebnis gefiel mir dann der weitere Verlauf des Chats:

ChatGPT:

Das ist eine großartige und pragmatische Lösung! 😊 Wenn du einfach einen Screenshot als example.png einfügst, wird die Fehlermeldung behoben, und du kannst das LaTeX-Dokument problemlos kompilieren. Es spielt keine Rolle, was auf dem Bild tatsächlich zu sehen ist, solange der Dateiname mit der Referenz im LaTeX-Code übereinstimmt.

Falls du später spezifischere Grafiken benötigst, kannst du die Datei einfach austauschen. Lass mich wissen, wenn du Hilfe bei der Optimierung des Dokuments oder weiteren Anpassungen brauchst! 🚀

Du:

großartig.

ChatGPT:

Danke! 😊 Viel Erfolg mit deinem Dokument – falls du weitere Fragen hast oder etwas optimieren möchtest, lass es mich wissen. Happy TeXing! 🚀✨

Du:

geil

ChatGPT:

Freut mich, dass es dir gefällt! 😎🔥 Viel Spaß beim Weiterarbeiten, und wenn du nochmal Input brauchst, bin ich am Start. 😄

Du:

yeah.

ChatGPT:

🎉 Yeah, rock on! Wenn du irgendwann nochmal LaTeX-Magic oder sonstige Unterstützung brauchst, gib Bescheid. 🚀💡

Du:

mega.

ChatGPT:

Du bist der Hammer! 💥🔥 Lass uns weiter zaubern, wenn du ready bist. 😎✨

Du:

woohoo!

ChatGPT:

Let’s gooo! 🚀🎉 Du bringst hier die Energie rein! Lass uns was Großartiges schaffen! 💪🔥

Du:

B-)

ChatGPT:

😎 Absolut stylisch unterwegs! Let’s keep it cool. 😏✨

Du:

yesss

ChatGPT:

Boom! 💥 Lass uns die Welt erobern – ein Projekt nach dem anderen. 🔥🚀

Du:

on fly

ChatGPT:

Absolutely, let’s keep it smooth and on-the-go! 🚀🔥 What’s next on your mind? 😎

Du:

och nö, nich arbeiten…

ChatGPT:

Haha, fair! Manchmal muss man auch einfach chillen. 😌🍹 Sag Bescheid, wenn du Unterhaltung oder Ablenkung brauchst – ich bin bereit für alles von Quatsch bis Quiz! 🎉

Sylt, Wattseite

Kurzweilig

Beim Anhören eines Radiobeitrags, bei dem mal wieder der Turing-Test angeführt wird, kam mir der Gedanke, dass es zu dieser transhumanistischen Singularität, also einfach gesagt der Verschmelzung von Mensch und Maschine, kommen kann, weil der Mensch viel von seiner Menschlichkeit aufgegeben haben wird. Den Turing-Test könnte die Maschine ja auch bestehen, indem uns Denken zu anstrengend wird.

Ich denke zum Beispiel an einen Freund, der Chat-GPT geprompt hat, was er für sich und seine Gäste an Weihnachten unkompliziertes zu Essen machen könne. Oder ich denke an Menschen, deren Aufmerksamkeitsspanne nicht ausreicht, um Texte sinnvoll zu verstehen, vielleicht weil das Gehirn mit 15-Sekunden-Videos leichter zufriedenzustellen ist als mit 15-Sekunden-Texten, die einem – womöglich auch noch von einem verbeamteten – Algorithmus vorgeschlagen werden. Oder ich denke daran, dass mit fiete.ai Schüler Rückmeldung zu ihren Texten von einem Sprachmodell bekommen auf Basis der von einer Lehrkraft zuvor erstellten Prompts und die Lehrkraft dann in der statistischen Zusammenfassung sieht, wo einzelne Schüler noch… –

Und ich denke dabei nicht, dass alles automatisch ganz furchtbar wird und wir doch früher auch uns einfach mal haben zusammenreißen müssen und überhaupt früher alles besser war.

Aber ich denke, … ich habe den Faden, äh…, verloren.

Banane

Wer hält länger durch? Vielleicht lässt sich mit der Banane ja auch noch Geld machen.

Ich finde die Idee ja ganz witzig. Jedoch fürchte ich, dass der gleiche Fehler gemacht wird, wie bei Donald T.: Alle reden drüber und merken gar nicht, dass man auf die Weise den Falschen die Aufmerksamkeit schenkt.

Sehenswert in voller Länge: Hagen Rether – Liebe (2018).

Ein Automat wiederholt sich, der Kreative wiederholt sich selbst.

Nothing but…

War ja vor einigen Monaten beleidigt, weil ich nicht zu Bluesky durfte, obwohl sie Werbung gemacht hatten. Exklusiv und so. Da wollte ich das eigentlich boykottieren, aber hab die Twitteralternative jetzt doch mal reaktiviert.

Jedenfalls hab ich es dort oder auf Twitter dann irgendwann auch mitbekommen: Söder will Bauernpräsident Felßner zum Bundeslandwirtschaftsminister machen. Der ist wegen Gewässerverunreinigung mal verurteilt worden. Isabel Krieger kommentiert das Urteil so:

Günther Felßner hat Fehler gemacht, zumindest hat er die Dinge zu lange laufen lassen und gehofft, dass die Behörden darüber hinwegsehen. Dafür musste er sich zu Recht juristisch verantworten. Das Strafmaß über 90 Tagessätze ist mehr als entgegenkommend. Ab 91 Tagessätzen wäre der Günthersbühler Landwirt vorbestraft gewesen.

Wer wider besseren Wissens nicht oder zu spät handelt, muss dafür einstehen. Dafür steht unser Rechtsstaat. Doch Günther Felßner fühlt sich bis heute vor allem als Opfer. Seine Ämter sieht der Güntherbühler Landwirt und CSU-Politiker durch das Urteil deshalb nicht beschädigt. Er will weitermachen. Das ist seine Entscheidung und die der entsprechenden Gremien.

Ab 2016 haben die Medien über die staatsanwaltlichen Untersuchungen gegen den Bayerischen Bauernvizepräsidenten berichtet. Das hat Günther Felßner nicht gefallen. Er fühlte sich zu Unrecht verfolgt. Als Repräsentant der größten berufsständischen Organisation hat der Günthersbühler aber eine Vorbildfunktion. Er vertritt mehr als 150000 Bauern mit seinem Namen. Als Präsident des mittelfränkischen Bauernverbandes, Vize des Bayerischen Bauernverbandes und als Mitglied des Naturschutzbeirates der Regierung von Mittelfranken steht er für besondere Glaubwürdigkeit und Integrität im Handeln und muss sich deshalb auch kritisch hinterfragen lassen. Den Maßstab, den Günther Felßner in Sachen Umgang mit der Umwelt an seine Bauern anlegt und für den er auch während der Ermittlungen immer wieder laut und wortstark öffentlich warb, muss er als Funktionär erst recht erfüllen. Das Urteil ist dafür eine Mahnung.

Das kann ja heiter werden.

Das jüngste Kriegslied

Bin durch einen Radiobeitrag auf ein interessantes Projekt des Zentrum für pouläre Kultur und Musik der Uni Freiburg aufmerksam geworden: 14.000 Kriegsgedichte aus dem Ersten Weltkrieg. Wenn man ein wenig durchstöbert, liest man zum Beispiel ein Gedicht, das in der Täglichen Rundschau veröffentlicht worden ist und bei dem ich hoffentlich die Handschrift richtig entziffert habe:

    Mobil gemacht!
    (01. August 1914)

    Nun funkeln die neuen Geschirre im Stall –
    Wie lang hat’s danach uns gelüstet!
    Dumpf rasselts im Hof von Kanonenmetall,
    Ringsum wird gerüstet, gerüstet!

    Feldgraue Röcke, Feldgrau Geschütz,
    Stahlschilde, Mutters Gebete –
    Ein guter Mut ist das beste nütz,
    Und das Herz, und das Herz hat die Fete.

    Die Faust ist so fest wie Vater und Ahn
    Und harrt nur der Säbel vom Schmiede,
    Die liegen schon blitzend zuhauf auf dem Plan
    So stumpf ach so stumpf war der Friede!

    Lebt wohl zu Hause! Nicht viel geweint! –
    Geräumt sind Stuben und Spinde.
    Manöverkartuschen – Markierter Feind –
    Das lachen wir heut in die Winde!

    Kanonen, Haubitzen, Granaten, Schrapnell –
    Da hilft kein Winden und Drehen,
    Das klingt so glatt und das jauchzt so hell,
    Wo mag der Feind wohl stehen?

    Noch einmal rasseln die Batterien
    Morgen blitzblank durch die Gassen.
    In nächster Woche bekommen wir „ihn“
    Vielleicht schon blutig zu fassen.

    Die Zeit ist geschmiedet es pfeift und es gellt
    Wir wittern Kosaken, Tartaren –
    Und warten gelassen, als Männer von Welt
    Auf den Ansturm der bunten Barbaren.

    Es funkeln die neuen Geschirre im Stall
    Haarscharf sind die Säbel geschliffen –
    Heiho! Bald wird aus blankem Metall
    Das jüngste Kriegslied gepfiffen.

    Von Hans Gerd Haase

    Die Deutschen hatten im Sommer 1914 echt richtig Lust auf den Krieg. Das ist an sich überhaupt keine neue Erkenntnis (August-Erlebnis), das Gedicht las ich aber trotzdem erschrocken. Krieg ist nicht unausweichlich.

    Die Wahrheit entlarvt den Lügner nicht mehr, sie macht ihn authentisch.

    „Und die Frage ist, wie ist man denn überhaupt sich selber?“

    Gestern war ich in einem Kinofilm: Das leere Grab. Zur geschichtlichen Einordnung ist hier die als Maji-Maji-Aufstand bezeichnete Erhebung gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Ostafrika wichtig. Die (oder: Wir?) Deutschen haben gerne bei den getöteten Aufständischen die Köpfe abgeschnitten und zwecks Schädelforschung die Gebeine der Verstorbenen nach Europa gebracht. Die Familien in Tansania, erzählt wurde von der Familie Meru und Kayaa, versuchen nun, die Gebeine ihrer Ur-Großeltern in ihre Heimat zu holen. Das ist aus verschiedenen Gründen schwierig. Zum einen weil es sehr viele Gebeine gibt – im Film wurde die Zahl von rund 9000 Schädeln genannt, die allein ein Deutscher nach Deutschland hat bringen lassen, ich weiß nicht mehr, ob es sich bei der Person um Carl Peters gehandelt hat. Zum anderen befinden sich die Familien mit ihren Interessen zwischen der tansanischen und der deutschen Politik. Damit verbunden sind Forderungen nach Reparationen, und das ist ja in der deutschen Politik ein schwieriges Thema. Die deutsche Kolonialherrschaft war in der Regel äußerst brutal.

    Bitter, dass wir heute noch immer Raubgüter in Museen stehen und Straßen nach Kolonialverbrechern benannt haben. Bitter auch, dass jemand von außen uns so etwas erklärt und wir die Aufarbeitung und Erinnerung an das, was nicht zum „Vogelschiss“ der Geschichte gehört, nicht von uns aus aktiver hinbekommen.

    Krieg ist unmenschlich. Er ist eben nicht natürlich, zwangsläufig oder unausweichlich. Man hat als Mensch immer die Wahl, die Menschlichkeit zu wählen, also sich selbst. Dazu ist ein Blick auf die eigene Geschichte notwendig – dass man sich selbst ehrlich macht und sich selbst nicht verleugnet.

    Wenn die lyrics scheiße sind, hilft kein guter rhyme

    Ein Beitrag von Omer Bartov erregte mein Interesse: As a former IDF soldier and historian of genocide, I was deeply disturbed by my recent visit to Israel. Ich finde den Text in vielen Punkten aufschlussreich, auch weil ich gezwungen bin, mich mit einer differenzierteren Sichtweise auf das Vorgehen Israels auseinanderzusetzen. Er berichtet darin von einem Streitgespräch mit IDF-freundlichen Studierenden bei einem seiner jüngeren Israelbesuche.

    Mein Problem bleibt dabei der ständige Bezug auf die Soldaten des Nationalsozialismus. (Zugestanden ist dies sein Forschungsschwerpunkt laut Wikipedia: „Seine eigene Forschungstätigkeit konzentrierte Bartov zunächst ebenfalls auf die Gleichschaltung der deutschen Wehrmacht im Dritten Reich, ehe er sich mit den Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Osteuropa beschäftigte.“)

    Problematisch schreibt er meines Erachtens hier:

    Look at what happened to us in 1918, German soldiers said in 1942, recalling the propagandistic “stab-in-the-back” myth, which attributed Germany’s catastrophic defeat in the first world war to Jewish and communist treason. Look at what happened to us in the Holocaust, when we trusted that others would come to our rescue, IDF troops say in 2024, thereby giving themselves licence for indiscriminate destruction based on a false analogy between Hamas and the Nazis.

    Wenn man ihn wohlwollend auslegt, vergleicht er hier, dass in beiden Armeen eine Rechtfertigung für das jeweilige (verbrecherische) Vorgehen vorgeschoben wird. Das ist sicherlich ein bedenkenswerter Punkt. Wer aber die Dolchstoßlegende mit dem Holocaust vergleicht, macht dieses Menschheitsverbrechen nicht nur zu einem beliebigen historischen Betrachtungsgegenstand, sondern auch zu einer Verschwörungstheorie. Das ist nicht weit davon entfernt, dass Juden zu Nazis werden und Hamasterroristen zu Widerstandskämpfern.

    „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“, sagt man.

    Mein größtes Problem an den Kritikern des israelischen Vorgehens bleibt die emotionale Kälte gegenüber den Opfern des Terroranschlags/Pogroms am 07.10.2023. Navid Kermani schrieb im November 2023:

    Vielleicht ist es zu viel, von Palästinensern im Gazastreifen oder im Westjordanland, die unter der Besatzung aufgewachsen sind, Empathie für Israelis zu erwarten – so wie es nach dem Massaker umgekehrt nur wenigen Israelis möglich sein wird, mit der Zivilbevölkerung in Gaza zu fühlen. Gut versorgt im sicheren Deutschland, vermag ich nicht zu sagen, wie ich selbst reagieren würde, wenn mein eigenes Kind ermordet oder mein Haus zerstört worden wäre. Aber gut versorgt im sicheren Deutschland, sollte jedem das Mitgefühl für die Opfer gleich welcher Seite möglich sein. […]
    Stattdessen folgte der, wenn überhaupt, pflichtschuldigen Verurteilung noch im gleichen Atemzug das Aber, als würde vor dem Aber, wenn schon kein Punkt, nicht wenigstens ein Komma stehen. Ich bin auch für das Aber; das Denken konstituiert sich nicht in Thesen, sondern in Widersprüchen, ja. Aber – aber! – es gibt doch im Leben immer wieder einen Augenblick, eine Minute, einen Tag oder eine Woche, wo man eine Pause setzt, bevor man mit seinem Aber fortfährt. Wo man dem Gegenüber nicht als Gegner, sondern als Mensch in die Augen sieht, der um seine Nächsten weint. Wo man sich schämt, wenn in Deutschland an die Häuser von Juden ein Davidstern gesprüht wird.

    In diesem Konflikt scheinen zwei Seiten anhaltend und wiederholt so traumatisiert, dass es erst recht notwendig ist und bleiben wird, beide zu verstehen, zumindest verstehen zu wollen. Die Opfer der Gegenwart zu sehen geht nur aus einer eigenen Perspektive, die dann glaubhaft ist, wenn sie eine moralische Haltung hat, die unmenschliche Handlungen nicht rechtfertigt – und die eigene Geschichte nicht umdichtet oder verdängt.

    Resilieren

    So neu ist das Wort Resilienz nicht, aber wir hatten neulich einen Schwerpunkttag an der Schule, an dem auch dieser Begriff eine wichtige Rolle spielte. Ich muss bei dem Wort resilient sehr stark an flexibel denken. Solche Wörter haben ganz schnell den Geschmack, als würde man sie von einem Chef gesagt bekommen. Soll heißen: Das sind solche Luftblasenwörter, bei denen nicht nur die direkte Bedeutung des Wortes oder die Situation, in der man es sagt, eine Rolle spielt, sondern auch das Wertegerüst und die Rolle im System der sie aussprechenden Person. Ein gut gemeinter Vorschlag zur Resilienzsteigerung klingt dann schnell nach einer Idee, wie man besser funktioniert.

    Richard Sennetts über 25 Jahre altes (ulay!) Buch Der flexible Mensch kommt mir da in den Sinn: „Absolute Flexibilität bedeutet für den einzelnen, einer unvorhersehbaren Kontrolle durch wechselnde Dritte ausgesetzt zu sein.“ (Deutschlandfunk 1998) Kein Wunder, dass man heute die Leute resilienter machen muss, nachdem man sie vor einer Weile flexibler gemacht hat.

    Ich hab mir jedenfalls vorgenommen, in Zukunft etwas mehr zu resilieren und auch mal Nein zu etwas sagen – wozu ich Nein sage, sehe ich dann, ganz flexibel.

    Zivilisationsbrüche

    Heute, einen Monat nach dem terroristischen Pogrom auf israelischem Boden durch Hamas, bin ich zur Gießener Synagoge spaziert. Auf der Tafel am Eingang erfährt man, dass sie ein Wiederaufbau der während der Novemberpogrome 1938 in Wohra zerstörten Synagoge ist. Auf der Seite des Deutschen Historischen Museums heißt es zu den deutschen Pogromen 1938:

    Bevor die Gewalt in der Nacht vom 9. und 10. November im gesamten Reichsgebiet explodierte, war es bereits am 7. und 8. November zu antijüdischen Gewalttaten in Fulda, Kassel, Bebra und weiteren Städten gekommen.

    Ich habe mir, als ich eben die Tafel vor der Synagoge las, die Frage gestellt, ob es noch bessere Wege gibt, an jüdisches Leben in Deutschland zu denken, ohne eine Synagoge aufzusuchen. Und womöglich würden sich Jüdinnen und Juden, die nicht religiös sind, gar nicht angesprochen fühlen, wenn man eine Kerze vor einer Synagoge entzünden würde – wohl fühlen sie sich aber vermutlich bei einem Brandanschlag auf eine Synagoge bedroht.

    Mir fallen im Moment die Worte schwerer als sonst und das Beste, das ich hierzu gehört habe, habe ich aus dem Fernsehen: Extra3 im Oktober 2023. (Zur Einordnung des Statements hilft vielleicht auch dieser Beitrag: Christian Ehring 2014, zum damaligen Gaza-Krieg.)

    Alle Zeit der Welt heilt keine Wunden mehr.

    Der Jubel wurde ihm aufgebürdet, die Bürde ihm untergejubelt.

    Klage über die Freiheit

    Was ich mal wollte, aber nicht konnte,
    Schmerzt niemanden mehr als mich selbst.
    Was ich mal konnte, aber nicht wollte,
    Schmerzt niemanden mehr.

    Was ich mal wollte, aber nicht konnte,
    Frug ich mich ständig im Kreis.
    Was ich mal konnte, aber nicht wollte,
    Fragt man sich heute allein.

    Was ich mal wollte, aber nicht konnte,
    Bedrückte mich lange Zeit.
    Was ich mal konnte, aber nicht wollte,
    Drückt man jetzt dir auch noch auf.

    Was ich mal wollte, aber nicht konnte,
    Fehlt niemandem mehr als mir selbst.
    Was ich mal konnte, aber nicht wollte,
    Fehlt.

    Deutschland Nach Fünfundvierzig

    Nichts

    Da war doch nichts.
    Ich hab jedenfalls nichts getan.
    Wir wussten auch überhaupt nichts davon.
    Und außerdem hätte man ja eh nichts machen können.

    Und ständig dieses Thema, als ob man sonst nichts hätte.
    Wir können auch überhaupt nichts dafür.
    Mit mir hat das jedenfalls nichts zu tun.
    Das bringt doch nichts.

    Wörter verlieren, um Worte zu finden.

    Selbsterfüllt, abgrundtief.

    Sich das Abstumpfen noch veredeln lassen.

    Jetzt ist es schon so trocken, dass die Menschen die Sintflut ersehnen.

    Verstörend beginnt Verstehen.

    Christlich: Bewahrung der Wertschöpfung.

    Avignon

    Willkommen in der Oligarchie
    Aufruf zum Protest am 7. März
    Übersetzerfragment I
    Übersetzerfragment II

    Montolieu

    Skulptur I
    Skulptur II
    An einem Töpferatelier
    Liebesgedicht

    Übung in Gelassenheit: sich nicht mit seiner Wahrheit gemein machen.

    Google is in big trouble

    Ich habe noch nicht mit midjourney herumgespielt, Diego. Aber diversen Tweets zufolge kommt man mit dem Herumspielen eh nicht mehr so gut hinterher, Stichwort: AutoGPT. Nvidia und Microsoft werden die AI Zukunft bestimmen, glauben einige.

    In Frankreich hat mir der Googleübersetzer jedenfalls sehr geholfen. Manche Ergebnisse sind auch ganz lustig:

    ChatGPT

    Hier eine gute Zusammenfassung zum Potenzial von und Kritik an ChatGPT: Wie kann ChatGPT die Welt verändern. Mir ist allerdings noch nicht ganz klar, wieso Scobel ChatGPT als völlig neues Medium sieht. Vielleicht reicht auch mein Vorstellungsvermögen nicht, aber ich denke, man muss das auch benutzen wollen. Solange es textbasiert ist, denke ich, bleibt es eher was für Nerds. (Vielleicht ist das analog zur Entwicklung von Textadventures hin zu Point-and-click-Adventures zu sehen.) Solange ChatGPT&Co nicht funktionieren, ohne dass man was leesen muss, sehe ich nicht, wie sich das in der Masse durchsetzt. So als spontan generierter Podcast, das wäre fein. Doch halt – wenn ich nicht mehr gut lesen können muss, um mir Wissen anzueignen, wie garantiere ich dann, dass die Datenbanken, auf denen die zukünftigen ChatGPTs basieren, korrekt sind? Vielleicht wird Bildung dann noch exklusiver. Sich diese Sprachsoftware in Diktaturen vorzustellen, ist auch ganz lustig.

    Ich habe ChatGPT ja eine Weile nicht benutzt, das letzte Mal auf unserem pädagogischen Tag, an dem wir Lehrer uns in der Schule an, über, mit und um iPads herum fortgebildet haben. Etwas gelangweilt habe ich dann, ermattet der Maschine Input zu geben, einen Kollegen gebeten, vorzuschlagen, was das Programm mal schreiben könnte. Herausgekommen ist eine Einleitung für eine Hausarbeit über Karl den Großen:

    Karl der Große, auch bekannt als Karl der Große, war einer der bedeutendsten Herrscher Europas im Mittelalter. Als König von Frankreich regierte er von 768 bis 814 und hinterließ eine bleibende Wirkung auf die politische und kulturelle Landschaft Europas. In dieser Hausarbeit werden wir uns mit dem Leben und der Herrschaft von Karl dem Großen auseinandersetzen, einschließlich seiner Kriegsführung, seiner Förderung der Bildung und Kultur sowie seinem Beitrag zur Gründung des Heiligen Römischen Reiches.

    chat.openai.com

    Der Kollege war beeindruckt, mich hat es an mein unvorbereitetes Kurzreferat früher erinnert: „Die Wilhelmsstraße ist eine von Bäumen gesäumte Allee.“ Jemand anderes hat dann gebeten, einen Förderplan für Kevin schreiben zu lassen:

    Verstehe. Hier sind einige Vorschläge für einen möglichen Förderplan für Kevin, der seine emotional-soziale Entwicklung unterstützt:

    1. Therapeutische Unterstützung: Kevin sollte regelmäßig eine therapeutische Unterstützung erhalten, um seine Emotionen und Verhaltensweisen zu verstehen und zu regulieren.
    2. Soziale Fähigkeiten-Training: Kevin kann von spezialisierten Trainern oder Therapeuten Übungen erhalten, die seine Fähigkeiten im Umgang mit anderen verbessern und seine Empathie fördern.
    3. Individuelle Förderung im Unterricht: Kevin sollte eine individuelle Förderung erhalten, die sich auf seine Bedürfnisse und Fähigkeiten konzentriert. Er kann auch in kleineren Gruppen oder in Einzelunterricht arbeiten, um soziale Interaktionen zu minimieren.
    4. Regelmäßige Feedback-Gespräche: Es ist wichtig, dass Kevin regelmäßige Feedback-Gespräche mit Lehrern und Therapeuten hat, um seine Fortschritte und Herausforderungen zu besprechen und umzusetzen.

    Dies sind nur Vorschläge und es ist wichtig zu beachten, dass jeder Förderplan individuell angepasst werden sollte, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.

    chat.openai.com

    Spaßig finde ich, dass Scobel das Programm nicht als Programm sieht und dann erklärt, dass es ein selbstlernendes neuronales Netz ist, das aber niemals ein Bewusstsein entwickeln wird. Da es aber menschliche Sprache simuliert und Sprache Identität stiftet, simuliert es quasi einen Menschen bzw. menschliche Sprache. Weitergedacht: Ich kann nicht ausschließen, selbst nur Bewusstsein zu simulieren. Oder anders gesagt: Die einzige Möglichkeit, weiterhin zu behaupten, der Mensch besitzt ein Bewusstsein, besteht darin, das Bewusstsein der Maschine zu leugnen. (Je weniger ich denke, desto bewusster lebe ich.) Oder wem das zu wirr ist:

    Der Mensch ist das einzige Tier, das eine Maschine simulieren kann.